Von Awareness bis Zoom-Meeting: Wie viel Anglizismus verträgt die deutsche Sprache?

Seit 2010 wird der Anglizismus des Jahres [1] gewählt. Wenig überraschend gewann 2020 der Lockdown. Doch wie viele Anglizismen brauchen unsere Texte wirklich?

Denglisch begegnet uns in seiner heiligen Dreifaltigkeit mit folgenden Kategorien:

Kategorie 1: Es gibt kein deutsches Pendant

In dieser Kategorie befinden sich nur Wörter, für die es keinen gleichwertigen Ersatz gibt. Um dasselbe auszudrücken, müsste man sie durch eine längere Beschreibung ersetzen. Das rechtfertigt ihren Gebrauch und führt dazu, dass sie sich schnell in der deutschen Sprache etablieren.

Gängige Beispiele hierfür sind:

  • Interview
  • Live
  • Comeback
  • Manager
  • Babysitten
  • Layout
  • Ersatz für englische Unikate: erfolgreiche und gescheiterte Versuche

    Oft hat man versucht, deutsche Alternativen für neu eingeführte Anglizismen zu entwickeln. Manchmal scheiterte der Versuch, in anderen Fällen entstanden gebräuchliche Wörter:

    Als Flugzeuge erfunden wurden, gab es das entsprechende deutsche Wort noch nicht. Airplanes wurden als Aeroplane ins Deutsche adaptiert. Erst einige Zeit später erschuf ein findiger Schreiber das Wort Flugzeug, das sich letztendlich durchsetzte.[2]

    Der Airbag ist ein sehr gängiger Anglizismus. Die Aktion Lebendiges Deutsch sagte ihm den Kampf an, aber konnte sich mit ihrem Vorschlag Prallkissen nicht durchsetzen. Manche sehen darin bis heute eine verpasste Chance. Denn mit einem deutschen Begriff könne man die höhere Wertigkeit deutscher Airbags/Prallkissen betonen.

    Auch das Brainstorming war der Aktion Lebendiges Deutsch ein Dorn im Auge:

    „Statt brainstorming empfehlen wir Denkrunde; Daten der Umfrage: 4.426 Teilnehmer machten 10.380 Vorschläge. Nur zu gern hätten wir der Öffentlichkeit ein Dutzend deutscher Wörter für brainstorming vorgeschlagen – aber mehr als eins hat keine Chance, populär zu werden, und durchsetzen soll es sich ja vor allem bei denen, die in der Wirtschaft, in der Werbung, in der Presse das Gripstreffen (so eine der 3805 Ideen) häufig betreiben. Tüftelrunde, Grübelplausch, Denkgewitter, Gedankenquirl – sind das nicht ebenfalls pralle Prägungen? Oder Neuronenfeuer, Phantasiegalopp! Und wie wäre es, wenn man sich zum Rumspinnen oder Kreativeln träfe? Hirnhatz hieß der kürzeste Vorschlag, Lösungsansatzsammlungsgenerierung (10 Silben) der längste – wahrscheinlich nicht ganz ernst gemeint, so wenig wie das Gedankenkotzen oder das Bullshit Bingo (kein sehr deutsches Wort, aber ein so treffendes, dass man es den Engländern statt ihres abgenutzten Hirnstürmens glatt vorschlagen könnte). Die schönsten Ideen sind natürlich immer die, die man nicht ernstlich erwägen kann: plattdeutsch Klugschietermarkt, hochdeutsch Heureka-Treff, Alzheimer-Prophylaxe oder Synapsen-Tango“ [3]

    Kategorie 2: Der Anglizismus wirkt besser geeignet

    Angehörige dieser Kategorie haben bedeutungsgleiche deutsche Pendants. Dass man trotzdem gerne zur denglischen Alternative greift, hat verschiedene Ursachen:

    Wenn Anglizismen kürzer sind

    Ein Flop ist ein Misserfolg in kürzerer Ausführung. Er reiht sich ein in eine lange Tradition knapperer Formulierungen, die ihre deutschen Konkurrenten verdrängt haben:

    clever, Clown, fair, Fan, Flirt, Hobby, Party, Sex, Slip, Steak, Team oder Training, um nur einige zu nennen.

    Weil diese Anglizismen so kompakt und gebräuchlich sind, würde es länger dauern, sie mit anderen Worten treffend zu umschreiben – ähnlich wie in Kategorie 1. Man kann sie also bedenkenlos benutzen.

    Wenn Anglizismen spezifischer sind

    Ein Meeting könnte man auch als Treffen bezeichnen. Allerdings ist das Meeting spezifischer, denn es hat einen klaren Bezug zur Arbeit. Ein Arbeitstreffen wiederum ist eine unnötig lange Umschreibung. Eine Sitzung oder Besprechung wäre ein denkbarer Ersatz für das Meeting, ist aber möglicherweise auch zu unspezifisch.

    Ob das der einzige Grund für den überverhältnismäßigen Gebrauch des Wortes Meeting ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Der Verdacht liegt jedoch nahe, dass hippe Leute zu Meetings gehen und nicht zu Betriebsversammlungen. Geht ja ums Business.

    Wenn Anglizismen trendiger sind

    Das Briefing definiert Wikipedia als Kurzeinweisung oder Kurzbesprechung. Gängig seien auch Begriffe wie Unterrichtung oder Einweisung. Warum werden diese nicht verwendet? Spezifischer sind sie schließlich nicht. Im Gegenteil: die „Kürze“ als Teil der Bedeutung fällt weg.

    Unterrichtung klingt nach Schule und Einweisung nach Klapse? Wirkt auch wie eine fadenscheinige Ausrede. Man könnte zu dem Schluss kommen, dass das Briefing auch hier wieder einfach nur cooler ist als das deutsche Pendant.

    Kategorie 3: Anglizismen, die man verbieten sollte

    Wer sie verwendet, begeht versuchten Mord an der deutschen Sprache. Denn die Angehörigen dieser Kategorie liefern weder einen Mehrwert in der Bedeutung noch sind sie kürzer oder in anderer Weise besser als ihre deutschen Pendants.

    Viele dieser Unwörter haben ihren Ursprung im Online-Marketing:

    Beim Kunden (wenn er nicht schon zum Customer erklärt wurde) soll Awareness geschaffen werden. Man könnte auch von Bewusstsein sprechen. Aber das könnte vom Kunden missverstanden werden, rechtfertigen sich die Urheber. Denn es gibt ja auch das Bewusstsein, das man bei einem starken Schlag auf den Hinterkopf verliert. Vermutlich fand besagter Schlag eher auf dem Kopf der Urheber statt.

    Zeitlupe wird zu Slow Motion und selbst Spezialeffekte werden zu Special Effects. Den Content kannst Du downloaden statt herunterladen, aber bitte mit Mouse und Keyboard, nicht mit Maus und Tastatur. Hier haben wir es definitiv mit einer Kategorie zu tun, wo es nur darum geht, möglichst Englisch statt Deutsch zu schreiben.

    Quellen:

    [1] Anglizismen des Jahres: http://www.anglizismusdesjahres.de/

    [2] Prof. Walter Krämer vom Verein Deutsche Sprache e.V. im Podcast von Achgut Media https://www.youtube.com/watch?v=cOhDetilzb0

    [3] Seite 11 des Artikels https://d-nb.info/1125947373/34