Inklusiver Journalismus: Wie barrierefrei berichten deutsche Medien?

Medien berichten oft zu kompliziert und schließen damit viele Menschen aus. Das zeigt unsere Studie. Im Mai veröffentlichten wir bereits ein Ranking zur barrierefreien Kommunikation deutscher Versicherer. Nun untersuchten wir große deutsche Nachrichtenseiten auf ihre Verständlichkeit. Brisanz hat das Thema nicht zuletzt, weil ab 2025 das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz Verständlichkeit vorschreibt. Welche Leitmedien gehen mit gutem Beispiel voran?

Stand: 14.09.2023 – Gidon Wagner, WORTLIGA Tools GmbH

Journalismus: Luxus für Eliten oder Dienst für alle?

Wer berichtet frei von Sprachbarrieren? Um diese Frage zu klären, stellten wir bei großen Nachrichtenseiten das Sprachniveau und die Lesbarkeit fest und nutzten dafür unsere Textanalyse-Software. Fazit: Mit wenigen Ausnahmen berichten viele Medien auf einem zu schweren Niveau. „Redaktionen grenzen damit Menschen aus, die mit komplizierter Sprache Probleme haben. Und sie verfehlen ihre journalistische Verantwortung“, sagt Studienleiter und WORTLIGA-Geschäftsführer Gidon Wagner.

So entlarvt die Studie Journalisten-Kauderwelsch

Wir untersuchten pro Medium zwölf Texte zu denselben Themen und vergaben je nach Komplexität Punkte. Maßgeblich für die Bewertung waren die Sprachniveaus nach dem Europäischen Referenzrahmen von A1 bis C2. Menschen auf A1-Niveau verstehen nur einfachste Sätze; C1 bis C2 ist traditionell die Sprache von Fachartikeln, Rechtstexten und Behördenbriefen. Besonders häufig schreibt „Bild“ auf dem allgemeinverständlichen Niveau von B1, knapp gefolgt von ZDFheute und T-Online. Mit großem Abstand und deutlich schwerer verständlich macht sich tagesschau.de: Nur einer der untersuchten Texte war mit B1-Niveau für eine große Zahl Menschen leicht zugänglich.

Zusätzlich bewerteten wir jeden Text mit ihrem Lesbarkeitsindex, der etwa lange Sätze oder Passiv-Formulierungen abstraft. Auf einer Skala von 0 bis 100 beginnen gut lesbare Texte bei einem Wert von 60 bis 70 Punkten. Diesen Wert erreichten im Durchschnitt nur Bild und ZDFheute.

Inhalte von Tagesschau.de grenzen viele Menschen aus

Die Studie zeigt: Ein Drittel der tagesschau.de-Meldungen ist nur für Menschen mit fortgeschrittenen Sprachkenntnissen verständlich. „Bei anspruchsvollen Themen wie Künstlicher Intelligenz oder politischem Tagesgeschehen ist verständliche Berichterstattung herausfordernd, aber möglich. Besonders der öffentlich-rechtliche Journalismus darf Menschen nicht sprachlich ausgrenzen, sonst verfehlt er seine Aufgabe“, sagt Wagner.

Ähnlich schlechte Ergebnisse erzielen Focus, Zeit und Süddeutsche. Das Schlusslicht in Sachen inklusivem Journalismus bilden in Deutschland Der Spiegel und FAZ. Gidon Wagner: „Elite-Medien sind für uns diejenigen, die ihre journalistische Verantwortung besser wahrnehmen als alle anderen – und das beginnt mit einfacher Sprache, damit die Mehrheit das Gesagte versteht. Sperrige Texte reduzieren Chancen auf Bildung und Austausch. Außerdem überlassen Medien den Demagogen und Verführern die Bühne, wenn sie sich unverständlich und abschreckend ausdrücken.“

Messmethode

Das Sprachniveau nach dem gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen berechnen wir mit der verwendeten Satzlänge eines Textes und seiner Wortwahl. Dabei gleichen wir ab, wie gebräuchlich die verwendeten Wörter sind. Außerdem fließt die generelle Lesbarkeit eines Textes in die Bewertung ein. 

So schlägt sich das Sprachniveau auf das Ranking nieder: Wir untersuchten pro Medium zwölf Texte zu denselben Themen und vergaben je nach Komplexität Punkte. Texte auf B1-Niveau erhielten drei Punkte, B2-Texte erhielten zwei Punkte, C1-Texte einen Punkt. Texte auf C2-Niveau erhielten keinen Punkt. Die Gesamtpunktzahl entschied über die Platzierung des Mediums. Bei Gleichstand der Punktezahl zogen wir die Lesbarkeit hinzu.

Der Lesbarkeitsindex der WORTLIGA Textanalyse errechnet sich unter anderem aus der durchschnittlichen Satz- und Wortlänge eines Textes sowie dem Anteil schwer verständlicher Formulierungen, wie Passiv- und Perfekt-Konstruktionen und Substantivierungen. Dieses Verfahren ist vergleichbar mit dem international anerkannten Flesch-Reading-Ease. 

Barrierefreiheit deutscher Nachrichtenseiten im Vergeich

#MediumSprach­niveau-PunkteLesbarkeit Ø
1 bild.de 27 64,2%
2 zdf.de 25 60,4%
3 t-online.de 25 56,7%
4 web.de 24 56,8%
5 stern.de 23 57,3%
6 welt.de 23 53,4%
7 rtl.de 22 57,7%
8 tagesschau.de 22 55,3%
9 focus.de 21 55,2%
10 zeit.de 21 53,3%
11 sueddeutsche.de 21 52,0%
12 n-tv.de 20 53,0%
13 taz.de 19 52,0%
14 spiegel.de 18 51,8%
15 faz.de 18 49,3%
So berechnen wir die Sprachniveau-Punkte:
Wir analysierten das Sprachniveau von zwölf Texten zu vier Themen pro Medium. Die Themen waren: Tod der Queen, Erdbeben in Afghanistan und Steinmeiers Wiederwahl. Ein Text mit einem Sprachniveau B1 erhielt drei Punkte, für B2 vergaben wir zwei und für C1 einen Punkt. Texte auf C2-Niveau erhielten keinen Punkt. Die daraus resultierenden Punkte zählten wir für die Rangliste zusammen.


Ihr Ansprechpartner:

Gidon Wagner
WORTLIGA Tools GmbH
Geschäftsführer
0160 938 78 311
gwagner@wortliga.de