Marketing und Kommunikation schreiben oft vom Büro aus, ohne eigene Erfahrung mit den Produkten oder Dienstleistungen der Firma zu haben. Vertrieb, Kunden und Mitarbeiter schütteln dann oft den Kopf über das Marketing, das „mal wieder abgehoben“ hat und die eigentlichen Probleme und Themen gar nicht kennt. Gastautorin Dr. Ana Kerstin Kreysing regt an, wie Dein Content Marketing am Boden der Tatsachen bleibt.

„Ich bin für zwei Tage mit den Handwerkern mitgegangen. Das war eine wirklich lehrreiche Zeit“, berichtet mir mit leuchtenden Augen der Marketingchef einer kleinen IT-Firma für Industrie-Unternehmen. Nun hat der Marekting-Profi live gesehen, wo seine Kunden die Soft- und Hardware seines Arbeitgebers einsetzen. Er kennt jetzt die Anwender und ihren Alltag in einem Industriebetrieb. Dieser Realitätscheck verleiht seinem Marketing neuen Schwung und schafft ein neues Fundament:

Er spricht jetzt viel von Schnittstellen, weil er gesehen hat, dass manche Vorgänge dreimal auf drei verschiedenen Vorlagen dokumentiert werden mussten. Gesetzliche Vorgaben machen diese ärgerliche Verschwendung von Arbeitszeit nötig, genauso wie die Unvereinbarkeit verschiedener Softwaresysteme. Außerdem hat er erkannt, dass die Software die Arbeit interessanter gestalten sollte, nicht den Handwerker zum bloßen Ausführungsgehilfen eines Computerprogramms machen.

Hat ein Marketing-Leiter nichts Besseres zu tun?

Zwei Tage Felderfahrung für den Chef des Marketings scheinen eine teure Investition zu sein und Du fragst Dich vielleicht: „Hat der Mann nichts Besseres zu tun?“ Nein, hat er nicht, denn diese zwei Tage haben seine Wahrnehmung des eigenen Produktes geschärft. Er weiß jetzt, worauf es ankommt, wie sich sein Produkt vor Ort anfühlt. Dadurch kann er den Kunden auf Augenhöhe begegnen.

Im besten Fall profitiert auch die Entwicklungsabteilung von seinen Eindrücken. Als Fachfremden fallen ihm Dinge auf, die die Spezialisten nicht mehr bemerken. Unternehmenskommunikation sollte zweigleisig sein, Information geht heraus und kommt auch herein.

Kennst Du Deine Produkte gut genug?

Diesem guten Beispiel stehen meiner Erfahrung nach viele schlechte gegenüber. Marketingabteilung und auch die Interne Unternehmenskommunikation schreiben oft vom Büro aus, ohne eine eigene Erfahrung mit den Produkten oder Dienstleistungen der Firma zu haben; dafür aber auf allen Kanälen. Bunte Bilder und auf positiv getrimmte Sprache spielen eine große Rolle, zunehmend auch in der B2B-Kommunikation. Scheinen ist wichtiger als Können, was absurd anmutet, wenn langjährige Kunden Fachkompetenz und Authentizität an einer Firma schätzen.

Kunden und Mitarbeiter bleiben staunend am Boden zurück, wenn der Marketing-Ballon abhebt.

Inhalte und Zwischentöne bleiben oft auf der Strecke, weil sie nicht zu den gängigen Marketingregeln passen. „Sagen, was man macht, nicht sagen, was man nicht macht!“ ist so eine gängige Regel. Dabei kann eine klare Abgrenzung einen viel höheren Informationsgehalt haben.

Sind Deine Unternehmensfilme nur technisch gut, aber es mangelt an Inhalten?

Ein gutes Beispiel für die zunehmende Distanz zwischen Marketing und vor allem technischen und wissenschaftlichen Mitarbeitern findet sich in vielen Unternehmensfilmen. Da werden bunte, technisch aufwendige Bilder produziert, mit der Drohne aus der Luft gefilmt oder der GoPro in der Produktionsanlage. Nur leider passen die Bilder oft nicht zum gesprochenen Text. Wie auch?

Das Filmteam hat ganze Arbeit geleistet, schließlich ist es Experte für ästhetische und dramatische Bilder. Die Marketingabteilung hat dafür gesorgt, dass klare Aussagen zum Alleinstellungsmerkmal getroffen werden und auch die Emotionen nicht zu kurz kommen. Tieferen Einblick in komplexe Inhalte haben beide nicht.

Den technischen und wissenschaftlichen Mitarbeitern fällt die Diskrepanz sofort auf. Sie wissen, was auf dem Bild zu sehen ist oder zu sehen sein sollte. Es fällt ihnen schwer, sich mit den Filmen zu identifizieren. „Ach, das Marketing hat mal wieder viel Geld ausgegeben!“, denken die Fachleute oft.

Was kannst Du tun, um die Bodenhaftung zu halten?

Am besten nutzt Du jede Gelegenheit, einen eigenen Eindruck von den Produkten und Dienstleistungen deiner Firma oder Kunden zu bekommen. Sei neugierig auf die Spezialisten. Was sind ihre Erfahrungen, was macht sie stolz? Vielleicht kannst Du einen Vertriebsmitarbeiter begleiten und so einen Eindruck von den Kunden bekommen.

Berichte in der Unternehmenszeitschrift oder in den sozialen Medien auch über wissenschaftliche oder technische Themen, die mit deiner Firma zu tun haben. Gut aufbereitet, kannst Du eine breite Leserschaft damit erreichen. Noch wichtiger ist jedoch, dass die firmeninternen Fachleute sich und ihre Themen dort wiederfinden können. Mit der Zeit entwickelt sich ein Austausch auf Augenhöhe, der für beide Seiten fruchtbar ist.

Wie kitzelst Du die Erfahrung aus den Spezialisten?

Am Anfang hilft es, sich klarzumachen, dass unterschiedliche Menschentypen am Werk sind. Wer sich für Marketing interessiert, ist oft eher extrovertiert, kontaktfreudig, schwimmt in der schnelllebigen Welt mit und fasst Trends mit einer knackigen Formulierung zusammen.

Wissenschaftler und Ingenieure sind oft eher introvertiert, an Sachthemen interessiert. Sie sind darauf trainiert, den Fehler zu finden, lieben Details und Nuancen und hassen Verallgemeinerungen.

Zwei Welten prallen aufeinander, die sich sehr befruchten können, wenn der Austausch gelingt.

Tipps für Interviews mit Wissenschaftlern

Interviews mit Wissenschaftlern, Ingenieuren oder IT-Spezialisten bieten viel Stoff, um Geschichten für das Content Marketing zu schreiben. Fünf einfache Tipps haben sich dabei bewährt:

1. Genug Zeit nehmen

Plane für das Interview genug Zeit ein. Wissenschaftler reden oft nur mit ihresgleichen über ihre Arbeit. Sie brauchen Zeit nachzudenken, die Perspektive zu wechseln und Worte zu finden, die auch Laien verstehen. Eine Stunde ist meist zu kurz.

2. Für angenehme Atmosphäre sorgen

Eine angenehme Atmosphäre ist wichtig. Besuche die zu interviewende Person an ihrem Arbeitsplatz. Dort wird sie sich wohler fühlen, kann Dir Grafiken zeigen oder Geräte.

Wissenschaftler sind oft auch noch nach vielen Jahren von ihrem Fachgebiet begeistert. Fange diese völlig natürliche Begeisterung ein.

3. Vorab Informationen einholen

Frage vor dem Termin nach bereits vorhandenem Informationsmaterial. Meistens gibt es eine Abteilungspräsentation. Damit kannst Du Dich auf das Thema einstimmen.

4. Intelligente Fragen stellen

Versuche nicht, so zu tun, als ob Du das Fachgebiet kennen würdest, wenn Du nur wenig Ahnung davon hast. Stell lieber intelligente, neugierige Fragen, das imponiert den meisten Interview-Partnern. Frage bei allen verwendeten Abkürzungen nach der Bedeutung. Es gibt so viele Abkürzungen, dass Du unmöglich alle kennen kannst. Das macht das Gespräch etwas mühsamer, zwingt aber die Gesprächspartner zu mehr Abstand vom eigenen Fachchargon.

Kleiner Tipp: Oft weiß die interviewte Person auch nicht, was die Abkürzung genau heißt. Die Blamage hält sich meist in Grenzen.

5.Um Korrektur bitten

Bitte Dein Gegenüber, den fertigen Text auf Fakten und richtige Formulierungen zu überprüfen. Ein falsches Verb kann den Schreiber als ahnungslos entlarven. Keine Wissenschaftlerin will damit in Verbindung gebracht werden.

Bei Filmen nimm Dir Zeit für eine ausführliche Feedback-Runde bei den Spezialisten. Bitte die Experten, genau hinzuschauen, was sich im Bild befindet. Erkennen die Fachleute sofort, dass die Bilder gestellt sind? Und wenn ja, woran?

Marketing hat die schöne Aufgabe, exzellenten Produkten und Dienstleistungen zum Erfolg zu verhelfen. Wenn Du für guten Kontakt mit den Kunden und den Know-How-Trägern in deinem Unternehmen sorgst, ist der langfristige Erfolg gesichert.

Dr. Ana Kerstin KreysingÜber Dr. Ana Kerstin Kreysing

Wissenschaft trifft Journalismus. Als Chemikerin bin ich darauf trainiert analytisch und strategisch zu denken. Als Journalistin weiß ich, wie man unterschiedliche Zielgruppen auf sich aufmerksam macht, sie unterhält und informiert. Mit dieser ungewöhnlichen Kombination
unterstütze ich meine Kunden, sich in Ihrem Geschäftsumfeld zu positionieren. Das kann eine Abteilung innerhalb eines großen Chemie- oder Pharmaunternehmens sein oder eine Start-up Firma, die ihre Kommunikationsstrategie erst noch erfindet.

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