Aber hallo, Herr Müller!
Sie sprechen Ihren potentiellen Kunden mit „Hallo Herr Müller“ an? Wunderbar! Die Anrede ist jovial und zeigt zugleich Respekt. Mit so jemandem kommt man gerne ins Geschäft.
Es sei denn, Herr Müller ist Schweizer. Dann haben Sie mit den ersten drei Worten Ihren Kunden bereits vor den Kopf gestossen. Denn „Hallo“ ist in Helvetien für Duzfreunde reserviert. Ein „Hallo Herr Müller“ ist also eine mittlere Unhöflichkeit. Herr Müller allerdings wird Sie Ihren Fauxpas keinesfalls spüren lassen, sondern vielmehr betont freundlich reagieren. Schliesslich sind die Müllers genauso wie die restlichen Schweizerinnen und Schweizer höfliche Menschen. Darum werden sie sich auch nicht anmerken lassen, dass Sie längst in der für Deutsche reservierten Schublade gelandet sind. Diese trägt die Beschriftung: „Unangenehm direkte Leute; fallen mit der Tür ins Haus.“
In diese Fettnäpfe tappen Deutsche
Keine Sorge: Um mit Schweizern ins Geschäft zu kommen, müssen Sie nicht Schweizerdeutsch lernen. Das ist alleine darum unmöglich, weil es DAS Schweizerdeutsch nur in der Vorstellung der Deutschen gibt. Tatsächlich sind es gefühlt eine Million sehr unterschiedlicher Dialekte, vom Appenzell bis ins Wallis. Die Differenzen im Vokabular, in der Aussprache und auch bei der Grammatik sind so gross, dass sich manche Deutschschweizer Stämme gegenseitig nicht verstehen, sind sie einmal im Nachbartal zu Besuch. Wer als Deutscher einen dieser lokalen Dialekte zu imitieren versucht, landet zwangsläufig im nächsten Fettnapf.
Der grösste dieser Fettnäpfe ist das „Grüezi“. Denn mit diesem Gruss – wohlgemerkt für Menschen, die man siezt – liegen Sie zwar in Zürich richtig, vorausgesetzt, Sie rollen das r und schlucken nicht das e. In Basel sagt man aber eher „Griezi“, mit frikativem, also französischem r – oder schlicht „Guete Daag“ (Guten Tag). Letzteres lässt sich zu einem „Guets Däägeli“ steigern. In Bern hingegen heisst es „Grüessech“ (Grüss Euch), denn hier ist noch das „Ihr“ und „Euch“ statt des neumodischen „Sie“ gebräuchlich. Hinzu kommen Dutzende lokaler Varianten. All diese Menschen mit „Grüezi“ anzusprechen heisst, sie alle wie Zürcher* zu behandeln. Und damit machen Sie sich unter Eidgenossen maximal unbeliebt. Aber hallo!
Kommunikation mit der Methode Alpenflug
Wie also die potentiellen Kunden in der Schweiz ansprechen? Nicht mit „Hallo“ und auch nicht mit „Grüezi“. Machen Sie es wie die Schweizer: Sprechen Sie Ihre eigene Sprache, in diesem Fall Hochdeutsch. Selbiges nennt man in der Schweiz übrigens Schriftdeutsch, weil man es ja nur in der geschriebenen Form verwendet. Sprechen Sie darum langsam und deutlich. Seien Sie lieber eine Spur zu formal als zu direkt. Also: „Guten Tag Herr Müller“. Oder: „Sehr geehrter Herr Müller“. Dann tauschen Sie ein paar Höflichkeiten aus und drehen nette sprachliche Schlaufen, wie bei einem Alpenflug. All diese Floskeln sind nicht Selbstzweck. Sie stellen vielmehr sicher, dass man sich mit dem Menschen aus dem anderen Tal wirklich verständigen kann, auch wenn er eine so seltsame Sprache wie das Schriftdeutsche verwendet.
Ist die Kommunikation erst einmal etabliert, dürfen Sie zur Sache kommen, und dann gerne direkt und klar. Effizienz wird in der Schweiz geschätzt. So ist man auch sehr schnell – schneller als in Deutschland – beim unkomplizierten Du, und zwar bis in die höchsten Ebenen von Politik und Business. Wird es Ihnen angeboten, dann können Sie sicher sein, dass man Sie nicht mehr für den arroganten Deutschen hält. Und dann, ja dann dürfen Sie auch „Hallo“ sagen.
Über den Autor
Matthias Knecht ist Journalist mit Schweizer und deutscher Staatsangehörigkeit. Er schreibt seit über 20 Jahren für Redaktionen in beiden Ländern. Vor langer Zeit war er einmal für den deutschen Journalistenpreis nominiert, mit einer haarsträubenden Fahrradreportage aus Mexiko. Weil er neben dem Velo auch das Sprachendurcheinander liebt, beschäftigt er sich mit dem Sprachgebrauch in Schweizer Zeitungen.
(*) Sie können sich trotz korrektem „Grüezi“ auch bei den Zürchern unbeliebt machen, zum Beispiel indem Sie diese als „Züricher“ bezeichnen. Es heisst „Zürcher“. Wirklich.
Bild von Claudia Beyli auf Pixabay
Damit schlage ich mich seit mehr als 20 Jahren rum. Darum hab ich vor zwei Jahren etwas darüber geschrieben … https://medium.com/@schreibwerkstatt/dont-mess-with-schweizerhochdeutsch-37db1f9fa763
Danke, Roger! Ein tolles Thema und Matthias Kolumne wird dazu nun regelmäßig erscheinen 🙂