Tatwort #4: Regelrecht – Bad Boy der Bildungssprache

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Heute im Tatwort: Der Prozess gegen ein Hollywort sorgt für Aufsehen im Textstaat. Außerdem erhalten Sie Updates über das Ausmaß der In-Dynastie und den Verbleib von Staranwalt Kommschon. Prominenz auf der Anklagebank, ein fesselnder Schlagabtausch zwischen den Anwälten und ein weiteres wegweisendes Urteil von Richter Textgut.

Update aus dem Textstaat

Letzte Woche überschlugen sich die Ereignisse im Textstaat. Der Staranwalt Kommschon verschwand spurlos und das wahre Ausmaß der In-Dynastie blieb ein Rätsel. Heute sind die Ermittler zuversichtlich. Ein Polizeisprecher teilte uns mit, man habe bereits vier weitere Mitglieder der In-Dynastie festgenommen:

In Aller Regel, In Gewisser Hinsicht, In Einigen Fällen und In Bestimmten Situationen wurden als Mittäter angeklagt und verurteilt.

Unterdessen erreichte uns ein Videoband des ehemaligen Startanwalts Kommschon. Hierauf teilt er mit, dass er es nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, die In-Dynastie zu verteidigen. Er ist deshalb nach Worto Rico ausgewandert, um ein friedfertiges Leben jenseits seiner Tätigkeit als Anwalt zu führen.

Er verpasste den Prozessauftakt um ein echtes Schwergewicht der Blähwortszene.

Prozess um Regelrecht: Ein Rockstar auf der Anklagebank

Regelrecht galt lange Zeit als der Bad Boy der Bildungssprache. Er schwängerte Doktorarbeiten, Whitepaper und Fachartikel mit schamloser Redundanz. Unvergessen bleibt sein legendäres Interview nach einer wilden Partynacht in Las Verbas:

„Ich hatte mehr Sätze als ich zählen kann. Glaubt mir, die sind regelrecht verrückt nach mir!“

Anklageschrift: Die Niedertracht des Regelrecht

Die einzelnen Vorwürfe gegen Regelrecht klingen eher harmlos ­– Verwässerung, inhaltliche Nötigung und Bedeutungsschwindel. Doch Textanwältin Explizitovic stellt klar: Im Fall Regelrecht sind das keine Bagatelldelikte.

„Der Angeklagte machte sich seine scheinbare Bildungssprachlichkeit schamlos zunutze. Er verführte junge Autoren – die teils nicht einmal volljährig waren – und brachte sie zu abscheulichen Dingen. Die schämen sich bis heute dafür und werden verspottet. Regelrecht handelte unverantwortlich und rücksichtslos!“

„Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen, Herr Regelrecht?“ fragt der ehrenwerte Richter Textgut.

„Blödes Geschwätz“ entgegnet Regelrecht. „Es ist immer das gleiche, die genießen es doch, mich zu verwenden. Und hinterher ist das Geschrei dann wieder groß. Aber insgeheim wollen die mich, sie brauchen mich. Ich bin ein regelrechter Gott unter den Wörtern!“

Richter Textgut stöhnt. „Dann kommen wir jetzt zur Beweisaufnahme. Frau Explizitovic, bitte.“

Beweise gegen Regelrecht lassen Schlimmes vermuten

Textanwältin Explizitovic legt eine Reihe belastender Beweise vor. Besonders gerne tummelt sich Regelrecht wohl in News, insbesondere in den Ressorts Sport und Medien:

  • „Flick gerät bei Schlotterbeck regelrecht ins Schwärmen“ (Kicker 27.08.2021)
  • Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte spricht davon, dass der Andrang „regelrecht explodiert“ sei. (Westfälische Nachrichten 20.08.2021)
  • Witt über Corona-Zeit: „Sport wurde regelrecht verboten“ (Sächsische Zeitung 15.08.2021)
  • Das Internet ist regelrecht verzückt von seinem „Spatzl“ (tz.de 08.09.2021)
  • Ganze Landstriche wurden von den Wassermassen regelrecht weggerissen oder verwüstet (rtl.de 08.09.2021)
  • Dem Eiche-Einwechselspieler fiel der Ball beim Fußball-Krimi vor dem spielentscheidenden 4:3 regelrecht vor die Füße (Weser Kurier 08.09.2021)
  • Dieses Mal jedoch gibt sich die AfD regelrecht angepisst. (ingolstadt-today.de 07.09.2021)
  • Gerade Lastwagen können mit ihrem hohen Gewicht von bis 40 Tonnen schnell zur tödlichen Gefahr werden und das Fahrzeug vor sich regelrecht zerquetschen. (br.de 08.09.2021)
  • […] und erntet damit nicht nur ziemlich böse Blicke, sondern vermiest damit allen auch regelrecht die Stimmung, wie unser Video zeigt. (rtl.de 06.09.2021)
  • Trotz zahlreicher Radltouren […] muss man nach einem Ausleihangebot für Drahtesel regelrecht suchen. (ingolstadt-today.de 08.09.2021)

Die Beweislast wirkt erdrückend und Richter Textgut bittet Regelrechts Anwalt um eine Stellungnahme: „Können sie auch nur Teile dieses inflationären und sinnlosen Auftetens ihres Mandanten rechtfertigen?“

Die Argumentation von Regelrechts Anwalt

„Selbstverständlich Euer Ehren. Nehmen wir das erste Beispiel, Flick schwärmt regelrecht über Schlotterbeck. Mit Verlaub, er ist ja nicht verliebt. Die Aussage bedarf daher ganz klar einer Relativierung. Im zweiten Beispiel kann von einer Explosion im wörtlichen Sinne keine Rede sein. Auch hier ist die Anwesenheit meines Mandanten unerlässlich.

Am meisten grämt mich jedoch das AfD-Beispiel. Ein unschönes und umgangssprachliches Wort wie angepisst hat in Texten nichts zu suchen. Da können wir doch froh sein, dass es Wörter, wie meinen Mandanten gibt! Sie wahren wenigstens Teile des Anstands.“

Explizitovic kontert

„Ich kann Ihre Argumentation nicht nachvollziehen, Herr Verteidiger. Anstatt Beispiele zu suchen, die Ihren Mandanten entlasten könnten, rütteln sie an unstrittigen Tatsachen. Es ist völlig klar, dass Flick nicht in Schlotterbeck verliebt ist. Genau deshalb braucht man ja kein Regelrecht, um den Sinn zu vermitteln. Gleiches gilt für das Explosions-Beispiel.

Und zu Ihrer AfD-These kann ich nur sagen: Lesen Sie die Akten! Die ÜBERSCHRIFT des Artikels war „AfD ist angepisst“. Natürlich lässt sich über dieses Wort streiten. Aber wieso sollte man es im Fließtext relativieren, wenn man das an einem prominenteren Platz – der Überschrift – nicht getan hat?“

Regelsrechts Anwalt bäumt sich ein letztes Mal auf

„Ich bin immer noch der Meinung, dass die Leser meinen Mandanten brauchen. Es könnte sonst zu fatalen Verwechslungen kommen. Für sie mögen die Zusammenhänge klar sein, aber was ist, wenn ein Leser wirklich glaubt Flick wäre verliebt oder etwas wäre explodiert?“

Die Textanwältin will davon nichts wissen: „Halten Sie die Leser wirklich für so beschränkt? Man sollte meinen, bei Ihnen gilt eine generelle Dummheitsvermutung bis zum akademischen Abschluss. Wenn wir unsere Leser derartig für blöd verkaufen, werden sie sich nur von uns abwenden.“

„Ich habe genug gehört“ unterbricht sie Richter Textgut. Wenn niemand mehr etwas Sachdienliches beizutragen hat, schließe ich hiermit die Beweisaufnahme.

Das Urteil: Richter Textgut zeigt keine Gnade

„Im Namen des Wortes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte erhält ein vollumfängliches und lebenslängliches Textverbot. Ausnahmen gelten nur, wenn eine unstrittige und missverständliche Doppeldeutigkeit vorliegt. Diese muss jedoch stets durch eine umfangreiche Textanalyse geprüft werden. Auch dann gilt der der Einsatz von Regelrecht als Ultima Ratio! Nur wenn sich keine andere Lösung anbietet, darf der Angeklagte in Texten auftreten.

Zur Begründung ist Folgendes zu sagen: Regelrecht verstieß mehrmals gegen die Gesetze der Textsprechung und zeigt bis heute keine Reue. Er zeigte dabei ein Verhalten, das wir leider öfter bei Hollywort-Stars beobachten. Er nutze seinen gesellschaftlichen Status arglistig aus und täuschte seine Opfer. Hinter seiner bildungssprachlichen Fassade erkennen wir heute seine Überflüssigkeit.

Das lebenslängliche Textverbot erfolgt ab sofort und unter den erläuterten Auflagen. Eine vorzeitige Entlassung wird ausgeschlossen. Dieses Urteil ist rechtskräftig und die Verhandlung ist hiermit geschlossen.“

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1 Kommentar
  1. Thomas Martini
    Thomas Martini sagte:

    Wer „regelrecht“ in seinen Texten unterbringt, hat „in der Regel recht“ gute Chancen, sich in den Augen von professionellen Schreibern lächerlich zu machen.

    Antworten

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