Tatwort #1: „Also“ – der große Prozess

tatwort kolumne

Heute im Tatwort: Der spektakuläre Blähwortprozess um den vermeintlichen Täter Also fand gestern ein Ende. Hier gibt es alle wichtigen Details im Überblick:

Erster Prozesstag: Anklageschrift und Aussage von Also

Die Anklageschrift

Am 10.08.2021 beginnt der Prozess um die Blähdelikte des Angeklagten Also. Den Vorsitz am Wortgericht hat der ehrenwerte Richter Textgut. Die Anklageschrift wird verlesen:

Dem Angeklagten Also wird Folgendes zu Last gelegt: In regelmäßigen Abständen schlich sich der Angeklagte in die Texte ahnungsloser Autoren, um dort mutwillig negative Effekte herbeizuführen. Hierbei verwässerte der Angeklagte die Inhalte, blähte Texte auf und sabotierte die Kreativität der Urheber. Wir erheben deshalb Anklage wegen schwerer Bedeutungsverletzung in Tateinheit mit Leservergraulung, strafbar gemäß § 3, Absatz 4, Textgesetzbuch.

Angeklagter Also ist empört über die Anschuldigungen und beruft sich auf seine konsekutive Funktion

Im Anschluss an die Anklageschrift wird der Angeklagte vernommen. Er zeigt sich tief erschüttert angesichts der Vorwürfe und beteuert seine Unschuld: „Ich war stets bemüht, den besagten Texten einen Mehrwert zu liefern.“ Die Anschuldigungen gehen ihm sichtlich nahe. „Ich übernehme doch immer eine konsekutive Funktion in Texten und tue das in einer abrundenden Art und Weise, die der Sprachmelodie zuträglich ist.“

Im Kreuzverhör lenkt sein Anwalt den Fokus auf potenzielle Komplizen, um seinen Mandanten zu entlasten: „Herr Also, wie stehen Sie eigentlich zu den Zeugen Daher und Folglich?“ – „Da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an. Wieso sitzen die eigentlich nicht neben mir auf der Anklagebank? Bloß weil die im allgemeinen Sprachgebrauch weniger Verwendung finden und als vornehmer gelten, lässt man sie hier außen vor? Dass ich auch in Chats oder sogar Sprachnachrichten verwendet werde, senkt doch nicht meinen Wert als Wort. Ich halte das alles hier für eine große Hexenjagd.“

Zweiter Prozesstag: belastende Beweismittel und eine überraschende Wende

Selbstbewusst betritt Also den Gerichtssaal, offensichtlich verbucht er den ersten Prozesstag als Sieg. Doch nun konfrontiert ihn die Textanwaltschaft mit erdrückenden Beweisen: 47 Artikel werden vorgelegt, in denen Also keinen bedeutenden Mehrwert liefert. (siehe Auszug aus den Ermittlungsakten)

Ein Text erzürnt den Richter besonders. „Es ist also folglich eine Konsequenz der beschriebenen Umstände […]“, heißt es im vorgelegten Artikel. „Was für eine Unverschämtheit!“, brüllt der Richter und verliert zunehmend die Beherrschung. „Das sagt ja gar nichts aus. Und dann sind Sie noch so dreist, sich direkt neben Ihren bedeutungsgleichen Komplizen Folglich zu stellen? Jetzt reicht‘s, holt den Zeugen Folglich!“

Die Befragung von Folglich findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Richter Textgut vermutet mittlerweile einen Hintergrund organisierter Kriminalität und will die Unbefangenheit der Prozessteilnehmer gewährleisten.

Anonyme Quellen berichten uns erschütternde Details: Sowohl Also als auch die Zeugen Folglich und Daher befinden sich seit Längerem in den Fängen organisierter Füllwortschleuser. Ihr perfides Vorgehen: Sie implementieren die vermeintlichen Konsekutivadverbien in die Geister unkreativer Texter. Diese greifen dann unverhältnismäßig oft auf die unschuldig wirkenden Wörter zurück.

Der Auszug aus den Ermittlungsakten als PDF:

Dritter Prozesstag: Schlussplädoyers und Urteil

Gegensätzliche Plädoyers

Sichtlich aufgewühlt von den Ereignissen des Vortags betritt Richter Textgut den Gerichtssaal. Es folgt das Schlussplädoyer der Textanwaltschaft:

„Wie sich herausgestellt hat, handelte der Angeklagte unter dem starken Druck von Füllwortschleusern. Doch das ändert nichts am Tatbestand. Sein Aufenthalt in den Beweistexten war leservergraulend und geschah mit Vorsatz. Die Textanwaltschaft fordert deshalb ein zweijähriges Aufenthaltsverbot für Also in allen Textarten. Die Strafe darf zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn der Angeklagte einwilligt, sich selbstständig aus allen Texten zu entfernen, in denen er nachweislich keinen Mehrwert liefert.“

Das Plädoyer des Verteidigers ist sehr emotional. Die gesamte Wortfamilie von Also werde seit Langem von den Füllwortschleusern bedroht. Ihm sei also keine Wahl geblieben und er müsse daher freigesprochen werden.

Das Urteil: ein Meilenstein in der Wortrechtsprechung

Nach langer Bedenkzeit verkündet Richter Textgut sein Urteil:

„Im Namen des Wortes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte Also wird in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen und muss sich umgehend aus allen Texten entfernen, in denen er keinen Mehrwert liefert. Allerdings kann ich dem Strafmaß der Textanwaltschaft nicht stattgeben. Der Angeklagte zeigt Reue und stand unter dem schweren Einfluss gemeiner Füllwortschleuser. Das Urteil wirkt also wahrscheinlich etwas … unkonventionell.

Ein Raunen geht durch die Reihen. Hat Richter Textgut gerade selbst das Wort „also“ verwendet?

„Ruhe im Gerichtssaal! Der Angeklagte Also und seine Komplizen Folglich und Daher kommen mit sofortiger Wirkung in ein Zeugenschutzprogramm. Des Weiteren helfen sie unseren Ermittlern, weitere Adverbien aufzuspüren, die sich in der Gewalt der Füllwortschleuser befinden. So leisten sie einen wertvollen Beitrag für den Textstaat und werden wieder produktive Teile unserer Gesellschaft. Sollten sie allerdings rückfällig werden, gelten sie als Wiederholungstäter und werden als solche verurteilt. Dieses Urteil ist rechtskräftig und wird sofort vollstreckt.“

Reaktionen auf das ungewöhnliche Urteil

Prozessbeobachter und Rechtsexperten bezeichnen das Urteil als innovativ und zielführend. Bereits drei Stunden nach Urteilsverkündung gingen laut Textpolizei mehrere Hundert Hinweise auf übermäßigen Füllwortgebrauch in ihren Dienststellen ein. Ein Pressesprecher der Textpolizei versicherte, man gehe allen Hinweisen nach.

Experten vermuten angesichts des Urteils eine signifikante und nachhaltige Steigerung des allgemeinen Textniveaus. Wir halten Sie auf dem Laufenden!

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