Einfache Sprache ist vielfältig, anregend und ein Kulturgut

Schon 2005 titelte der SPIEGEL: „Wer glaubt, mit gestelzten Formulierungen Eindruck schinden zu können, täuscht sich.“ Und verwies auf das Motto des Sprachkritikers Wolf Schneider: Schreibe so einfach wie nur irgend möglich. Auch nach Schneiders Tod gilt diese Regel. Ein Plädoyer für mehr Einfachheit im Journalismus, anlässlich des WORTLIGA Medienrankings.

Einfache Sprache ist guter Stil und harte Arbeit – für klaren und zugleich ansprechenden Schreibstil stand unter anderem Wolf Schneider, angesehener Journalisten-Ausbilder und Sprachkritiker († 11. November 2022 in Starnberg). Foto: Sven Teschke – CC BY-SA 3.0 de

NZZ-Autorin Birgit Schmid warnt vor einfacher Sprache im Journalismus und titelt: „Die Zähmung der Intelligenz – warum der Ruf nach «einfacher Sprache» problematisch ist“. Sie fürchtet, dass dem Journalismus in einfacher Sprache etwas fehlt – Tiefgang, Persönlichkeit, ein Lesen zwischen den Zeilen. Mit ihren Bedenken ist sie nicht allein.

Einfache Sprache ist schöner, als viele denken

Wenn wir in unserer Studie über barrierefreien Journalismus mehr einfache Sprache forderen, wollen wir Journalisten aber nicht ihrer Nebensätze berauben und keinem seine sprachliche Raffinesse nehmen. Im Gegenteil: Es geht nicht um das Ende schöner Sprache. Es geht um die Sprachregeln, auf denen etwa Sprachpapst Wolf Schneider bis zu seinem Tod bestand. Einfache Sprache hat nichts mit plumpen Hilfstexten zu tun – sie zähmt nicht die Intelligenz. Sie zähmt den unüberlegten Wortschwall von Autoren, der Lesern Lebenszeit raubt.

Dem Leser Respekt zollen

Auch Journalisten erliegen täglich Schachtelsätzen und gestelztem Deutsch, das man mindestens zweimal lesen muss – nicht aus Genuss, sondern aus Verzweiflung und aus dem Willen, zu verstehen. Beim Thema Einfache Sprache geht es um Schneiders vielleicht wichtigste Regel: „Einer muss sich quälen, entweder der Schreiber oder der Leser.“

Einfache Sprache macht Nachrichten klarer und ansprechender

Eines der größten Probleme der alltäglichen deutschen Sprache sind ihre langen Sätze. Freilich formuliert ein begnadeter Autor auch lange Sätze ansprechend und muss nicht immer frühzeitig zum Punkt kommen. Aber die meisten Bandwurmsätze saugen Texten das Leben aus und fordern zu viel Geduld von Lesern.

Wären die Schachtelsätze der Neuzeit schön wie die von Goethe, könnte man sie noch als lohnenswerte Herausforderungen beim Lesen verkaufen. Aber Sätze wie die folgenden sind nicht schön. Sie transportieren auch keine besondere Botschaft zwischen den Zeilen. Sie sind sperrige Wortcontainer, verbale Straßensperren; Sargnägel des guten Stils und klarer Gedanken.

Journalistisches Verschachteln von Sätzen am Beispiel von tagesschau.de

Zum Beispiels schreibt Tagesschau.de:

„Frank-Walter Steinmeier ist ein sehr guter und hoch angesehener Bundespräsident, der sich in seiner ersten Amtszeit große Verdienste um unser Land erworben hat“, teilten die Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock sowie die beiden Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann in einer gemeinsamen Erklärung mit.“ Nicht nur quält Tagesschau.de ihre Leser mit 45 Wörtern in einem Satz, während die Nachrichtenagentur dpa neun Wörter pro Satz als Obergrenze für „optimale Verständlichkeit“ empfiehlt. Die Redaktion zerstückelt auch, was zusammengehört („teilten mit“) und trennt die Satzteile mit 20 weiteren Wörtern.

Was rät Stilpapst Wolf Schneider bei solchen Sätzen? Die Zweiteilung vermeiden! Das Gehirn tut sich beim Verstehen schwer, wenn es den Sinn nicht in drei Sekunden erkennt. Anstatt also den zweiten Teil des Verbs erst viel, viel später kommen zu lassen („teilten…mit“), könnte Tagesschau.de einfach „sagten“ schreiben. Das liest sich so:

„… sagten die Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock sowie die beiden Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann in einer gemeinsamen Erklärung.“

Ein ganzes Stück einfacher ist der Satz – und trägt keine Spur von kastrierter, ihrer Schönheit beraubter Sprache. Es geht um Ordnung; um das Aufräumen schlampiger Sätze.

Aufgeblasene Sprache in der Berichterstattung

Besser pflegen könnte man auch diesen Satz, der im Steinmeier-Text auf Tagesschau.de folgt:

Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa verlautet aus Parteikreisen in Berlin, dass die Führung der Christdemokraten zufrieden sei mit der Amtsführung des SPD-Politikers.

Was stört an diesem Satz? Wer ihn oft liest, findet vielleicht Gefallen daran. Aber außer den Autoren und mir werden die meisten den Satz nur einmal zu sehen bekommen – beim ersten Mal lesen. Und da stolpern viele über das aufgeblasene und abstrakte Wort verlauten.

Wolf Schneider warnt in seinen Büchern nicht nur vor langen Sätzen, sondern auch vor akademischer Sprache mit abstrakten, leeren Ausdrücken. Oft sind die schlichten Verben die besseren und sie sagen klar, was wir meinen. Was will die Redaktion im obigen Beispiel mit dem abstrakten Wort verlautet sagen? Hat ein Redakteur etwas gehört oder gelesen? Oder hatte jemand bei der dpa ein Bauchgefühl? Einen lebhaften Traum? Wohl eher nicht – und vielleicht hätte Wolf Schneider aus dem Satz gemacht: Die Nachrichtenagentur dpa hörte in Berliner Parteikreisen, dass die Führung der Christdemokraten zufrieden sei mit der Amtsführung des SPD-Politikers.

Ungeschickte Formulierungen, über die man stolpert

Andere Sätze auf Tagesschau.de könnten die Profis leicht vereinfachen, damit dem Leser schnell ein Licht aufgeht:

Einfache Sachverhalte kompliziert machen, hat ebenfalls nichts mit sprachlichem Kulturgut zu tun. Man ist kein Banause, wenn man den folgenden Satz von Tagesschau.de um einige Wirrheiten erleichtert:

In Pakistan sprachen lokale Behörden in der im Norden gelegenen Provinz Khyber Pakhtunkhwa von mindestens neun Toten sowie mehr als 40 Verletzten.

Auch nach häufigem Lesen stellen sich mir bei diesem Satz die Haare auf. Ohne das grobe Wort-Tetris („Inin der im…“) können wir das Wesentliche des Satzes nach vorn ziehen, damit auch hier die Botschaft schneller und verständlich ankommt. Vorschlag:

Pakistan: In der nördlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa seien mindestens neun Menschen gestorben und mehr als 40 verletzt, sagten dortige Behörden.

An anspruchsvolle Autoren: Ein Plädoyer für einfache Sprache

Einfache Sprache ist schön. Sie ist Kunst – sie ist all das, was ihre entfernte Verwandte „Leichte Sprache“ nicht ist. Einfache Sprache ist kein Feind gepflegter Sprachkultur. Sie ist das Hauptthema nennenswerter Sprachlehrer – nicht nur von Wolf Schneider. Sie braucht aber Zeit und Mühe, passt deshalb schwer in den Alltag von Journalisten und anderer Schreiber. Wer sie pflegt, trainiert sein Hirn; erspart Lesern sinnloses Stocken in den Zeilen und Nachdenken über Formulierungen.

Noch mehr: Einfache, verständliche Sprache regt immer auch an, ob in Form von Geschichten oder abwechslungsreicher Sprachmelodie. Sie muss anregen, sonst trifft sie auf taube Ohren, zeigt die Verständlichkeitsforschung. Und einfache Sprache verblödet nicht, wie NZZ-Autorin Birgit Schmid zwischen den Zeilen zu Bedenken gibt. Im Gegenteil: Sie zügelt nicht Intelligenz, sie schafft ihre Grundlage. Man versteht alles, auch mit wenig Zeit. Und weil das Gesagte ankommt, fördert es die Bildung.

Link zum oben erwähnten SPIEGEL-Artikel: Simple Sprache wirkt intelligenter

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