So findest Du die richtigen Experten für Deine Recherche
Spezialisten zu befragen ist ein Grundpfeiler der Recherche. Doch nicht jeder von ihnen liefert Dir zuverlässige Informationen. Nach welchen Kriterien Du Deine Interviewpartner auswählen solltest, erfährt Du hier.
Warum Du Experten misstrauen solltest
Experten neigen dazu, sich selbst und ihre Prognosen zu überschätzen. Das wird in vielen Untersuchungen deutlich; drei davon wollen wir hier näher betrachten.
Die Inkompetenz von Investoren an der Börse
Terrance Odean untersuchte über einen Zeitraum von sieben Jahren 10.000 Abwicklungskonten für Wertpapierhandel. Er wertete hierbei über 163.000 Kauf- und Verkaufsgeschäfte aus. Die Ergebnisse sind ein Armutszeugnis für die Investoren:
Im Schnitt entwickelten sich ihre verkauften Aktien besser als jene, die sie kauften – um beachtliche 3,2 Prozentpunkte. Das sind Durchschnittswerte, und einige Anleger verzeichnen deutlich höhere, andere deutlich niedrigere Wertzuwächse.[1]
Doch auch John C. Bogle schreibt den Fondsmanagern nach fünfzigjähriger Forschung ein verheerendes Zeugnis: Im Allgemeinen ist die Wertentwicklung bei zwei von drei Investmentfonds in jedem beliebigen Jahr schlechter als die des Gesamtmarktes. [2]
Experten, Eigeninteresse und gekränkte Ehre
Was passiert, wenn man Experten in die Quere kommt, musste Orley Ashtenfelter feststellen. Er ist Ökonom an der Universität Princeton und Weinliebhaber. Die von ihm entwickelte Formel prognostizierte den zukünftigen Wert junger Bordeauxweine.
Die Zuverlässigkeit seiner Formel war erstaunlich: Die Korrelation zwischen seinen Vorhersagen und den tatsächlichen Preisen liegt bei über 0,9. Dieser Wert übersteigt die Genauigkeit der Prognosen von Weinexperten bei Weitem.
Jenen Experten schmeckte die Formel natürlich nicht so gut wie die Weine, mit deren Verkostung sie ihren Lebensunterhalt verdienten. Weinkritiker Robert Parker bezeichnete Ashtenfelter indirekt als „Neandertaler“, und das britische Fachmagazin Wine schrieb: „Die offensichtliche Dummheit der Formel ruft Verachtung hervor.“ [3]
Worauf derartige Reaktionen beruhen, darf sich jeder selbst erschließen.
Spezialisten und ihre Selbstüberschätzung
Der Psychologe Philip Tetlock von der Universität von Pennsylvania liefert uns eine weitere Erklärung für die Fehlprognosen von Experten. In einer Studie befragte er 284 Personen, die ihren Lebensunterhalt als Kommentatoren oder Berater für politische und ökonomische Trends verdienen.
Die Experten sollten die Wahrscheinlichkeit dreier alternativer Ergebnisse für verschiedene Situationen einschätzen: der Bestand des Status quo, mehr von einer Sache wie politische Freiheit oder Wirtschaftswachstum oder weniger davon.
Im Rahmen seiner Befragung trug Tetlock über 80.000 Vorhersagen zusammen. Das Ergebnis: Die Experten zeigten eine schlechtere Leistung, als wenn sie alle drei Szenarien mit der gleichen Wahrscheinlichkeit bewertet hätten. Liefert ein Würfel wirklich bessere Ergebnisse als ein Experte?
Zur Ehrenrettung der Experten sei gesagt: Diejenigen, die mehr wissen, liefern geringfügig bessere Ergebnisse als diejenigen, die weniger wissen. Aber diejenigen mit dem meisten Wissen sind oftmals weniger zuverlässig. Woran liegt das?
Ein Mensch mit hohem Kenntnisstand entwickelt eine verstärkte Illusion von seinen Fähigkeiten und überschätzt sich in unrealistischer Weise. [4]
Wie Du gute und schlechte Experten unterscheidest
Zwei Arten von Experten – finde die Füchse
Tetlock leitet aus seinen Erkenntnissen zwei Typen von Experten ab:
Igel „haben den großen Durchblick“ und verfügen über eine umfassende Theorie; sie erklären konkrete Ereignisse innerhalb eines kohärenten Bezugssystems, reagieren mit Unverständnis auf diejenigen, die ihre Sichtweise nicht teilen, und sind überzeugt von der Richtigkeit ihrer Vorhersagen. Fehler räumen sie nur äußerst widerwillig ein.
Für Igel ist eine falsche Prognose fast immer nur „zeitlich verfehlt“ oder „fast richtig“. Sie sind von sich selbst überzeugt und ihrer Sache sicher, und genau das wünschen sich Sendeleiter in ihren Fernsehsendungen. Zwei Igel, die in einer Frage gegensätzliche Standpunkte vertreten, sorgen für eine unterhaltsame Show, in der jeder die idiotischen Ideen des Gegners angreift.
Füchse hingegen denken komplex. Sie glauben nicht, dass ein großer Faktor den Marsch der Geschichte antreibt (so werden sie kaum der Auffassung zustimmen, Ronald Reagan habe im Alleingang den Kalten Krieg beendet, indem er der Sowjetunion die Stirn geboten habe).
Vielmehr sind Füchse davon überzeugt, dass die Wirklichkeit das Produkt der Wechselwirkungen vieler verschiedener Agenten und Kräfte ist – einschließlich des blinden Zufalls –, die oftmals zu unvorhersagbaren Ereignissen mit weitreichenden Folgen führen. [5]
In diesem Sinne: Suche nach den Füchsen!
Finde praxisnahe Spezialisten
Gary Klein untersuchte lange Zeit die Entscheidungsfindung von Menschen in Extremsituationen. Hierfür begleitete er beispielsweise Feuerwehrmänner, deren intuitive Entscheidungen meist sehr zutreffend sind.
In dieser Situation wünscht sich niemand eine Formel, die über Schicksale entscheidet. Man stelle sich vor „Flammenhöhe x Brenndauer“ würde darüber entscheiden, ob die Feuerwehr versucht, Personen aus einem brennenden Gebäude zu retten. Das Urteil erfahrener Feuerwehrmänner ist hier deutlich zuverlässiger als jede denkbare Formel. [6]
Übertragen wir diese Erkenntnis auf andere Bereiche, kommen wir schnell zu dem Schluss: Der praxisnahe Experte trifft bessere Prognosen als ein noch so kompetenter Beobachter. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der Fondsmanager trifft noch immer die falschen Vorhersagen, und der Weinkritiker unterliegt der Formel. Woran liegt das?
Das Thema entscheidet über die Aussagekraft der Experten
Was unterscheidet den Feuerwehrmann vom Broker? Beide haben es in ihrem Arbeitsalltag mit kniffligen Situationen zu tun und müssten dementsprechend gute Urteile fällen. Doch nur dem Feuerwehrmann gelingt es (mit zuverlässiger Qualität).
Tatsächlich gibt im Zweifelsfall die Komplexität des Themas den Ausschlag. Es gibt einfach mehr (unberechenbare) Faktoren, die die Weltwirtschaft beeinflussen, als es bei einem brennenden Haus der Fall ist.
Stell Dir daher die Frage: Welcher Experte passt zu meinem Thema? Ist es möglich, dass er sich selbst überschätzt? Kann sein Eigeninteresse Einfluss auf seine Meinung nehmen?
Erst wenn du diese Fragen beantwortet hast, weißt Du, ob sich der vermeintliche Spezialist als Interviewpartner eignet. Mehr zu Ablauf und Vorbereitung des jeweiligen Gesprächs erfährst Du im Artikel Interview-Tipps: So bereitest du dich vor und führst das Gespräch.
Wie Du aus den gesammelten Fakten einen schönen Artikel schmiedest, lernst Du im WORTLIGA-Online-Kurs. Überzeuge Dich selbst mit dem kostenlosen und unverbindlichen Schnupper-Tag!
Quellen:
[1] Brad M. Barber und Terrance Odean, „Trading is Hazardous to Your Wealth: The Common Stock Investment Performance of Individual Investors“, Journal of Finance 55 (2002): S. 773-806
[2] John C. Bogle, Common Sense of Mutual Funds: New Imperatives for the Intelligent Investor, New York 2000, S.213
[3] https://www.nzz.ch/finanzen/fonds/bordeaux-weine-wie-mathematik-die-weinwelt-aufmischte-ld.1512865
[4] Philip E. Tetlock, Expert Political Judgement: How Good is it? How can we know it?, Princeton 2005, S.233
[5] Daniel Kahnemann, Schnelles Denken, Langsames Denken, S.272
[6] Gary Klein, Natürliche Entscheidungsprozesse. Über die „Quellen der Macht“, die unsere Entscheidungen lenken
Bild: konstantinrotkevich
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