Tatwort #5: die haarsträubende Ideologie der Intensivtäter

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Heute im Tatwort: ein Verbrechersyndikat auf der Anklagebank. Das skandalöse Ausmaß einer rassistischen Bewegung. Ungeahnte Abgründe im Textstaat. Eine Geschichte von Intoleranz, Hass und Terror.

Hintergründe: Ermittlungen gegen das Intensiv-Syndikat werden zur Herkulesaufgabe

Da staunten die Ermittler nicht schlecht: Vor einigen Wochen erhielt die Sprachpolizei einen anonymen Hinweis: Das Wort Kostenintensiv sei eine unnötig lange Variante des Wortes Teuer und solle daher zur Rechenschaft gezogen werden. Was die Ermittler im Zuge ihrer Nachforschungen entdeckten, sprengte ihre kühnsten Vorstellungen.

Tätern wie Zeitintensiv und Arbeitsintensiv kam die Sprachanwaltschaft schnell auf die Schliche, doch dann entdeckte man schier unfassbare Konstellationen. Eine Auswahl der perversesten Intensivtäter lesen Sie hier:

  • Personalintensiv
  • Energieintensiv
  • Aufwandsintensiv
  • Lohnintensiv
  • Bildintensiv
  • Schmerzintensiv
  • Textintensiv
  • Gefühlsintensiv
  • Verkehrsintensiv
  • Übertragungsintensiv
  • Bildungsintensiv
  • Gesprächsintensiv
  • Sonnenintensiv
  • Regenintensiv
  • Verhandlungsintensiv

Die verhafteten Intensivtäter verhielten sich teils sehr merkwürdig. Ein Ermittler erinnert sich:

„Als wir Wortintensiv verhafteten, sprach er zunächst keinen Ton mit uns. Er hatte eine Schar von weiteren Intensivtätern um sich versammelt. Ab und zu schrie er dann Parolen, die ich noch nie zuvor gehört habe! ‚Viva la Nomen‘ oder ‚Verben in Scherben‘ meinte ich zu verstehen. Daraufhin jubelten seine Anhänger jedes Mal lauthals: ‚Ung! Ung! Ung!‘ Das Ganze war mehr als sonderbar, das kann ich Ihnen sagen.“

Prozessauftakt: Ein Anwalt wird zum Dolmetscher

Der Gerichtssaal ist so voll wie nie zuvor. 37 Intensivtäter teilen sich die Anklagebank und werden allesamt vertreten vom dubiosen Anwalt Norman Namung. Dieser ist in Anwaltskreisen sehr umstritten und genießt einen fragwürdigen Ruf – er erhielt seine Konzession auf Banalba, einem kleinen Inselstaat im Passifik.

Textanwältin Explizitovic verliest die Anklageschrift: „Den Angeklagten wird Folgendes zu Last gelegt: Regelmäßig und unverhohlen traten sie verkomplizierend in Texten auf. Sie täuschten mutwillig ein hohes Sprachniveau vor, obwohl sie ersetzbar sind. Dies kostete unzählige Verben ihren Arbeitsplatz und schädigte diese nachhaltig. Die Beschuldigten werden daher angeklagt wegen Täuschung, unerlaubter Nominalisierung, gemeinschaftlicher Verbverfolgung und Niveaulosigkeit.“

Richter Textgut wendet sich zur Anklagebank. „Was sagen Sie zu den Vorwürfen?“ Anwalt Namung tuschelt kurz mit Verhandlungsintensiv, dem Sprecher der Angeklagten. Offensichtlich hatten diese Probleme, der Anklageschrift zu folgen. Ein Prozessbeobachter belauschte Namungs Übersetzungen:

„Zurlastlegung: frequenz- und intentionsintensive Texteindringung. Mutwillige Vortäuschung von Sprachniveau trotz Ersetzbarkeitsintensität. Arbeitsplatzberaubung zahlintensiver Verben durch nachhaltige Schädigung. Anklage wegen …“ – „Ung, ung! Ab da war es verständnisintensiv für mich“, unterbricht ihn der Wortführer Verhandlungsintensiv.

Schlagabtausch zwischen Angeklagten und Textanwaltschaft

Verhandlungsintensiv räuspert sich: „Ich und meine Brüder sind unschuldsintensiv. Unsere Anliegen sind stets präzisionsorientiert und erzeugen silbenunintensive Ergebnisse. Kürze für Würze, Euer Ehren. Unser Augenmerk gilt daher der Verbvermeidung zum Zwecke der Silbenarmut im Sinne der Prägnanzintensität.“

Richter Textgut zieht eine Augenbraue nach oben. „Prägnanzintensität? Das klingt nach einem sehr edlen Vorwand, aber es führt in Ihrem Fall offenbar zu fürchterlichen Ergebnissen. Frau Explizitovic bitte!“

„Danke, Euer Ehren. Prägnanz ist schön und gut, aber man erreicht sie nicht mit diesem Unsinn. Jedes x-beliebige Nomen wird mithilfe der Angeklagten zum Adjektiv. Anstatt die Botschaft mit Verben zu beschreiben, führt dieses Prozedere zu einem wahren Nominalsalat.

Wo soll das enden? Ist ein Haus mit vielen Möbeln dann möbelintensiv? Wenn es neben vielen anderen Häusern steht, ist das dann ein gebäudeintensiver Stadtbezirk? Das ist doch irrsinnig!“

Zweiter Verhandlungstag: die Abgründe der Sprachgesellschaft

Der zweite Verhandlungstag beginnt mit einem Paukenschlag. Textanwältin Explizitovic legt ein Video vor, das die Angeklagten schwer belasten soll. Der Inhalt ist erschütternd.

Es zeigt die Beschuldigten in einem Bootcamp in Nominalistan. Auf einer Holzkiste vor ihnen steht der Schurke Osama bin Nomen und hält eine Hassrede gegen Verbalkonstruktionen. Am Ende seiner Predigt singt der Wortterrorist das bekannte Mantra seiner Bewegung, und alle Angeklagten stimmen ein:

Kein Grunzen gleicht dem Unsren,

wir grunzen nicht, wir ungsen!

Ung, Ung, Ung!

Ung, Ung, Ung!

Wir grunzen nicht wir ungsen bis zur Grunzbewältigung! 

Das Video verstört alle Anwesenden, einige Reporter übergeben sich. Richter Textgut beendet die Beweisaufnahme und kündigt ein rasches Urteil an. Die Anwälte verzichten auf ein Schlussplädoyer. Was für ein irrer Tag am Wortgericht!

Urteil: die härteste Strafe der modernen Textsprechung

Richter Textgut wirkt mitgenommen. Man könnte meinen, er wäre in den zwei Verhandlungstagen um 10 Jahre gealtert. Hier lesen Sie wie immer seinen Urteilspruch in voller Länge:

„Im Namen des Wortes ergeht folgendes Urteil: Die Angeklagten werden in allen Punkten schuldig gesprochen. Zusätzlich stellt das hohe Gericht die besondere Schwere ihrer Schuld fest. Sie werden daher verurteilt zu einem lebenslänglichen Textverbot in vollem Umfang und ohne Chance auf Bewährung.

Zur Begründung ist Folgendes zu sagen: Selten sehen wir Adjektive auf der Anklagebank. Es muss schon viel zusammenkommen, um als Adjektiv straffällig zu werden. Meist sind das dann nur Ordnungswidrigkeiten. Doch was die Intensivtäter verbrochen haben, ist unverzeihlich. Ihre Verbrechen sprengen jede Vorstellung.

Verben in Scherben? Viva la Nomen? Diese rassistischen Parolen sollten längst der Vergangenheit angehören und verstoßen gegen sämtliche Wortrechte. Es ist unsere Pflicht als Gesellschaft, gegen solche Hetzereien streng vorzugehen. Ich stehe daher mit voller Überzeugung hinter meinem empfindlichen Urteil. Die Verhandlung ist geschlossen.“

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