Künstliche Intelligenz: Zwischen Effizienz, Panik und Verblödung

Influencer und Medienmacher sind sich sicher: Vor KI sollten Kreative und alle anderen Angst haben. Während ich täglich vergeblich meinen Arbeitsplatz an ChatGPT übergebe, sehe ich Gefahren woanders: Unser Denken steht auf dem Spiel. Wer es bewahrt, schützt sich und seinen Berufsstand.

Der 48-jährige SPIEGEL-Punk und Experte für alles stichelt in Richtung Kreativbranche: „Wo bleibt Ihr Aufruhr?“ Zwischen den Zeilen fragt Sascha Lobo: Wo bleibt Eure Angst um den Arbeitsplatz? Ich frage zurück: Merkst Du sie wirklich nicht? Die Angst ist überall zu vernehmen, wo das tosende Pressefeuer über geniale künstliche Intelligenz mal kurz still ist.

Ich spüre die Angst, wenn mich Bekannte, Kollegen und Kurs-Teilnehmer fragen: Was soll nur aus uns werden? Ich nehme sie wahr, wenn meine Frau mich nach dem Essen fragt: Hast Du morgen noch einen Job?

Von der rationalen Wissenschaftlerin über den schlagfertigen Vertriebler bis zum frisch ausgebildeten Werbetexter sind sie alle verunsichert – und ich war es auch. Kein Wunder: Bedrohlich zeichnet nicht nur Lobos Schwanengesang, sondern die ganze Branche das Bild einer Revolution gegen die eigene Art. Mit Fake-Fotos, künstlicher Kunst und echten Schlagzeilen. Und keiner weiß: Wann trifft es mich? Wird es mich schon mit GPT-4, oder erst mit GPT-6 erwischen? Wann werde ich überflüssig?

Lasst Euch nicht vom KI-Hype blenden

Ja, ChatGPT ist genial. Aber wie schlau ist es? GPT sagt B, wenn der Mensch A sagt – es vervollständigt. Mathematik ist am Werk, immer besser ausgeklügelte Statistik. Unterhält man sich mit ChatGPT, wirkt das, als könnte eine Maschine denken. In Wirklichkeit werden bloß Sätze, Arbeitsanweisungen, Überschriften komplettiert; wie erwartet, wenn auch in ihrer Form oft überraschend. Aber nach A kommt für eine Maschine immer noch B. Anders als der neue KI-Fanatismus uns weismacht, weiß KI nicht, wovon sie spricht – so schlau ist sie nicht.

Deswegen sieht die Maschine in der Vorbereitung dieses Artikels auch Fehler, wo keine sind – weil es nun mal recht wahrscheinlich ist, dass in einem Text (A) auch Fehler (B) stehen. Erst auf Nachfrage, die Fehler aufzulisten, gibt die künstliche Intelligenz ihren Patzer zu und entschuldigt sich sogar.

Warum ich als Texter KI liebe und nicht fürchte

Jetzt wird man mich vielleicht als KI-Gegner, als Leugner der Herrlichkeit dieser Technologie verstehen – aber das bin ich nicht. Ich arbeite täglich damit, lasse mir meine Texte kürzen, Vorschläge für neue Formulierungen geben. KI beißt sich für meine Seminare schmerzlos durch wirres Behördendeutsch, übersetzt es in einfache – ja, menschliche – Sprache. Ich genieße KI als ein geniales Werkzeug, als Quelle zur Inspiration. Aber ich lasse mir nicht das Denken abnehmen. Ich weigere mich, und das solltet Ihr auch tun.

Lasst Euch nicht verblöden

Hier soll keine weitere Stimme entstehen, die sensiblen Kreativen rät, umzusatteln auf Tool-Bediener. Ich möchte Euch sagen: Vertraut auf Eure Fähigkeiten, auf Euren Intellekt, Eure Erfahrungen. Nutzt die neuen Möglichkeiten, aber lasst nicht Tools und Maschinen für Euch denken. Lasst Euch nicht verblöden.

Übertrefft den Durchschnitt

Warum ich keine Angst vor KI habe? Weil sie keine Erfahrungen machen kann. Weil sie keine Meinung hat. Und gerade das reizt Menschen, wenn sie sich den Medien zuwenden. Wenn sie sich über Produkte informieren. Wenn sie Rat suchen, oder Unterhaltung. KI leidet nicht und so bricht auch nichts aus ihr heraus in schlaflosen Nächten. KI ist total genial durchschnittlich – und nur Menschen übertreffen den Durchschnitt. Kreative müssen sich weiter fragen: Wie kann ich das besser sagen als gestern, besser zeigen, neu denken? Wie kann ich Weltliteratur schreiben, wo andere nur Texte generieren?

Macht Euch nicht selbst überflüssig

Zu viel Bequemlichkeit bei der Arbeit, oder gar Resignation wird Kreative teuer zu stehen kommen, und wenn die KI auch noch so schöne Sätze ausspuckt, wie: „Die Texterstellung ist ein Tanz zwischen Mensch und Maschine, bei dem der menschliche Geist die Führung übernimmt und die KI folgt.“ Klingt überzeugend. Aber wenn wir dieser Logik folgen, wer bin dann ich? Nur noch ein Tanzpartner? Noch ein Urheber?

Ein Tanz entsteht gemeinsam. Wer führt, ist nichts ohne den, der geführt wird. Die KI als Tanzpartner – der künstliche Gedanke ist falsch, mit ihm stimmt etwas nicht. Ihn zu übernehmen, wäre Gift für meinen Geist, zumindest eine Entfremdung. Kaut ein Werkzeug mir solche Weisheiten vor und ich übernehme sie, sind es eben nicht mehr meine Denkprozesse; ist es nicht mehr mein Tanz. Noch schlimmer: Ich gebe den richtig klingenden, aber falschen Gedanken weiter, lasse ihn ins Unterbewusstsein meines Umfelds sickern.

Dich mit gutem Handwerk hervortun

Allen schreibenden Kollegen sage ich: Glaubt dem Lobo, glaubt der Panikmache. Künstliche Intelligenz wird die kreative Branche auf den Kopf stellen. Und doch beschleunigt es nur eine aktuelle Entwicklung: Google wird geflutet von generierten Texten. Ja, und? Die meisten lesen sich doch heute schon so. Ein mehr oder weniger kreatives Werk wird noch weniger wert, dafür in noch größerer Masse produziert. Die wirklich guten Leute werden für Handarbeit besser bezahlt.

Überleg mal: Wo führen die Massen an Texten und Inhalten hin, wo doch schon seit Jahren vom Content-Schock die Rede ist? Bald hat sich’s aus-generiert, ausgelesen, ist da auch kein Platz mehr im Bewusstsein und keine Zeit mehr im Alltag für noch mehr anonymen Content, aufgeblasene Mails, Pseudo-Ratgeber und durchschnittliche Geschichten.

Es ist unser Tanz

Es werden Menschen sein, die neue Gedanken denken, vielleicht eine neue Form des Journalismus, Werbens und Erzählens erfinden – mit und ohne KI. Menschen werden eingreifen, wenn die zehntausendste Geschichte aus der KI-Retorte niemand mehr an den Bildschirm, nicht mehr ans Buch fesselt. Menschen können und müssen beurteilen. Menschen erschaffen. Das Werkzeug hat nicht im Tanz zu folgen – es hat die Klappe zu halten, außer wir nehmen es zur Hand. Alles andere ist kein Handwerk, keine Kunst, keine Kultur, sondern Big Tech im Hirn; Durchschnitt – ein immer neu generierter Widerhall der Vergangenheit. Pfusch in unseren Gedanken.

Über den Autor

Gidon Wagner lernte in München Journalismus und schult in Seminaren verständliches Texten. Er ist Geschäftsführer der WORTLIGA Tools GmbH. Das Unternehmen betreibt die WORTLIGA Textanalyse, eine E-Learning-Software für verständliche Sprache. Darin kommt auch KI, aber vor allem der gesunde Menschenverstand zum Einsatz.

2 Kommentare
  1. Lehmann Bernd
    Lehmann Bernd sagte:

    Herzlichen Dank für die konstruktiven Ausführungen. Ich lasse meinen Text durch ChatGPT in der zweiten Runde „Korrektur lesen“, um dann den Text nochmals reviewen!
    Ich bin zufrieden!!
    BL

    Antworten
  2. Maka
    Maka sagte:

    Vielen Dank, Herr Wagner, Sie gaben den Kern des Geschehens kurz und gut erfasst. Das Schlimmste ist, dass inzwischen die Menschen es gewöhnt sind, der KI automatisch zu vertrauen und nicht selbst zu denken: google war der Wegbereiter einer noch nie dagewesenen Verblödung.

    Antworten

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