Wissenschaft verständlich machen: 10 Tipps für guten Wissenschaftsjournalismus
Beziehungskiller Margarine: Je mehr Margarine Menschen pro Kopf aßen, desto häufiger ließen sich die Menschen in Maine scheiden. Doch bringt wirklich das Schmierfett Ehen im US-Bundesstaat ins Schlingern – oder ist es der schmierige Journalismus? Wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich zu erklären, bedeutet vor allem, sie richtig zu verstehen. Mit diesen 10 Tipps und Erfolgsfaktoren ist im Wissenschaftsjournalismus alles in Butter. Von Ines Maria Eckermann.
1. Basis und Hintergrund
Jeder kann sich Journalist nennen. Es gibt keine gesetzlich vorgeschriebene Ausbildung und deshalb gibt es viele Weg in diesen Beruf. Wer sich in seiner Ausbildung nicht auf Wissenschaftsjournalismus spezialisiert hat oder eine empirische Wissenschaft studiert hat, kennt sich mit empirischen Studien meist nur bedingt aus. Plattformen wie eurekalert.org bieten wissenschaftliche Erkenntnisse bereits als fertige Nachrichten an. Die journalistische Sorgfalt empfiehlt jedoch auch eine Auseinandersetzung mit der Originalquelle. Und das will gelernt sein. Zum besseren Verständnis wissenschaftlicher Studien bieten immer mehr renommierte Universitäten E-Learning-Kurse an. Aber auch Bücher können das nötige Handwerkszeug liefern.
2. Recherche und Interviews
Wissenschaftlerinnen sind selten Medienprofis – und Medienprofis selten Wissenschaftlerinnen. Wenn wir ein Interview führen, sollten wir etwas Hartnäckigkeit mitbringen: Frag solange nach, bis du es wirklich verstehst. Stolz und falsch verstandene Höflichkeit sind fehl am Platz. Meist freuen sich Forscherinnen sogar über das Interesse und den Willen, ihr Forschungsfeld richtig verstehen zu wollen. Doch vor allem wissenschaftliche Publikationen sind die Quelle, aus der Wissenschaftsjournalistinnen schöpfen. Im Internet finden sich zahlreiche Plattformen wie PLOS oder PNAS, die wissenschaftliche Studien verschiedener Forschungszweige sammeln oder fachspezifische Seiten wie pubmed, die sich auf medizinische Studien fokussieren. Dort findest Du Papers für eine ausführliche Recherche zu Deinem Thema.
3. Paradigmen und Bias
Niemand ist objektiv. Schon der Erkenntnistheoretiker und Erfinder des Begriffs „Paradigmenwechsel“, Thomas Samuel Kuhn, sprach uns allen die Neutralität ab. Durch unsere Prägung und unser Weltbild bekommt sogar die vermeintlich objektive empirische Wissenschaft eine subjektive Fassette. Wissenschaftlerinnen und Befragte antworten und forschen unter Einfluss ihrer Paradigmen. So bringt beispielsweise die Social Desirablity Bias (soziale Erwünschtheit) die Befragten in Studien häufig dazu, eine geschönte Antwort zu geben, um gegenüber den Befragenden in einem bestimmten Licht dazustehen. Auch bei der Auswertung der Studien kann es zu verschiedenen Verzerrungen kommen, etwa durch die Detection Bias, durch die etwa erwartete Nebenwirkungen verstärkt bei den Probandinnen abgefragt oder Ergebnisse unterschiedlich bewertet werden. Behalte das bei deiner Recherche stets im Hinterkopf.
4. Begriffe und Termini
Wir können nur sinnvoll miteinander reden, wenn wir über dasselbe sprechen. Auch beim Verstehen wissenschaftlicher Erkenntnisse ist es wichtig, die in den Studien verwendeten Begriffe zu klären. Das gilt besonders für psychologische und soziologischen Studien, die sich mit abstrakten Konzepten und Emotionen beschäftigen. Was meinen Forscherinnen, wenn sie von Glück, Liebe oder Einsamkeit, sprechen? Ein Blick in die genutzten Fragebögen gibt einen Eindruck von den entsprechenden Termini. Teile diese Definition mit deinen Leserinnen.
5. Arten und Aufbau
Es gibt verschiedene Arten von Studien. Sie unterscheiden sich vor allem darin, ob die Forschenden ihre Probandinnen nur beobachten, befragen oder eingreifen, etwa indem sie beispielsweise ein Medikament verabreichen. Im Aufbau sind sie sich allerdings meist sehr ähnlich. Der standardisierte Aufbau hilft dir dabei, die Studie schneller zu lesen und zu verstehen. Dabei lohnt sich vor allem ein Blick auf die Methodik und die Diskussion. Der Methodenteil informiert unter anderem über die Validität der Studie, darüber, ob 10 oder 10.000 Probandinnen beteiligt waren oder der Test an Mäusen oder Zellkulturen durchgeführt wurde. Dieser Abschnitt zeigt damit, ob sich die Ergebnisse ohne weiteres verallgemeinern lassen. Im Diskussionsteil müssen die Autorinnen unter anderem offenlegen, ob und von wem die Studie gesponsert wurde und ob es dadurch womöglich zu einem Interessenskonflikt kam. Lass das auch deine Leserinnen wissen.
6. Quellen und Journals
Egal, wo du eine Information findest: Suche immer nach dem zugrunde liegenden Paper. Dabei ist auch entscheidend, in was für einem Magazin oder Journal die Studie veröffentlicht wurde. Das Renommee hängt dabei vor allem von dessen Validität und der Qualität ab. Deshalb legen viele Plattformen und Journals großen Wert auf eine eingehende Prüfung der eingereichten Papers und Studien. Als Goldstandard gilt die Peer-Review. Dabei begutachten unabhängige Expertinnen die Einreichung anhand verschiedener Kriterien und geben sie bei Mängeln zurück an die Autorinnen. Verweise offen auf deine Quellen und achte immer darauf, dass sie diesen wissenschaftlichen Standards entsprechen.
7. Korrelation und Kausalität
Warum lassen sich Margarine-Fans häufiger scheiden? Ein Zufall? Ja! Genau das ist es: Zufall. Und warum ertrinken in Jahren, in denen Nicolas Cage häufiger in Filmen zu sehen war, mehr Menschen in Pools? Ganz einfach: Weil Tyler Vigen so viel Spaß an Statistiken hat. Der Forscher und Buchautor stellt auf seiner Website Verbindungen zwischen verschiedenen Statistiken her.
Damit verdeutlicht Vigen eindrücklich den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität. Eine Kausalität ist eine Ursache, etwa: Wenn wir ohne Schirm im Regen spazieren gehen, werden wir nass. Ein Zufall? Wohl kaum. Die Ursache (es regnet) löst immer dieselbe Wirkung aus (wir werden nass). Eine Korrelation dagegen ist ein Zusammenhang, der manchmal auch rein zufällig auftauchen kann. Wie etwa bei den scheidungswütigen Streichfett-Enthusiasten.
Und hier liegt der Studienhase im journalistischen Pfeffer: Denn nur weil zwei Variablen sich ähnlich zu entwickeln scheinen, müssen sie sich längst nicht gegenseitig beeinflussen. Während das bei einer Kausalität einfach ist und wir nasser werden, wenn es stärker regnet, schlittern nicht automatisch mehr Ehen ins Aus, wenn der Absatz von Butterersatz steigt.
Doch auch bei offenbar eindeutigen Studien ist Vorsicht bei der Formulierung geboten: Wenn 200 Hobby-Yogis von sich berichten, dass Atemübungen sie glücklich machen, muss es sich dabei nicht um eine Kausalität handeln. Auch wenn es sich in den Medien gut liest: Atmen muss nicht immer glücklich machen. Und wir sind auch nicht zwingend zum Unglück verurteilt, wenn wir keine Freude an Yoga haben.
Aus Studien können wir selten konkrete Handlungsempfehlungen ableiten.
8. Verkürzen und Vereinfachen
Journalistische Arbeit muss sich immer häufiger an Klickzahlen messen lassen. Da erscheint es verführerisch, mit einer knackigen Headline für ordentlich Klicks zu sorgen. Wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich jedoch selten so leicht zusammenschrumpfen, dass sie in eine fluffige Überschrift passen. Deshalb kommt es immer wieder zu Vereinfachungen oder Verkürzungen, die Studien gelegentlich nicht korrekt wiedergeben. Wenn wir uns die Mühe machen und unsere Worte abwägen, die Ergebnisse in den Forschungskontext einordnen und gründlich erklären, respektieren wir die Arbeit der Forscherinnen – und unsere Leserinnen.
9. Wertung und Färbung
Auch wenn wir uns das selten eingestehen: Auch wir Journalistinnen denken nie vollständig objektiv. Wir haben Meinungen, Vorwissen und Erfahrungen – und die verstellen uns manchmal den Blick auf die andere Seite. Aber auch diese Seite muss betrachtet werden, damit wir einen Sachverhalt vollständig verstehen und einordnen können. Wir sollten subjektive Bewertungen gegen möglichst objektive Einordnungen tauschen. Als Journalistinnen ist es unsere Aufgabe, die nötigen Hintergrundinformationen zu liefern. Daraus dürfen sich unsere Rezipientinnen selbst eine Meinung bilden. Und wenn uns zum Thema die nötige Distanz fehlt? Dann sollten wir entsprechende Aufträge und Artikel ablehnen und anderen das Feld überlassen.
10. Verstehen und Erklären
Sich immer wieder in neue Themen einarbeiten zu dürfen, macht die Arbeit als Wissenschaftsjournalistin so spannend. Wir recherchiere so lange, bis wir uns von Laien in Teilzeit-Expertinnen verwandeln. Dabei können wir schon mal übersehen, dass wir nun mehr wissen als unsere Leserinnen – und sie gedanklich abhängen.
„Wenn du es nicht einfach erklären kannst, hast du es nicht gut genug verstanden“, soll schon Einstein gesagt haben. Dieser Spruch ist das Herz des Wissenschaftsjournalismus. Wühle dich tief ins Thema und komme mit einer einfachen Erklärung wieder hervor.
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Über Dr. Ines Maria Eckermann
Ines Maria Eckermann arbeitet als freie Reporterin, Autorin und Wissenschaftsjournalistin. In ihrer Doktorarbeit überprüfte sie antike Glückstheorien mithilfe psychologischer Studien auf ihre Aktualität. Heute schreibt sie vor allem über medizinische und ethische Themen, beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit, Glück und Digitalisierung. Mehr Infos: https://ines-eckermann.de/
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