Warum Beispiele das wichtigste Textelement sind und wie Du auf sie kommst
Daniel Kahnemann beschreibt in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ einen komplizierten Zusammenhang anhand eines einleuchtenden Beispiels:
Einem Beobachter, der beiläufig die Gäste am Nachbartisch in einem modischen Restaurant beobachtet, fällt auf, dass der erste Gast, der die Suppe probiert, wie vor Schmerzen zusammenzuckt. Dieser Vorfall wird die Normalität einer Vielzahl von Ereignissen verändern. Es ist jetzt keine Überraschung mehr, wenn der Gast, der die Suppe zuerst probierte, heftig zusammenfährt, wenn er von einem Ober berührt wird. Es ist auch keine Überraschung mehr, wenn ein anderer Gast einen Schrei unterdrückt, wenn er die Suppe aus der gleichen Schüssel probiert.
Später fasst er zusammen:
System 1 […] hat Zugriff auf Normen von Kategorien, die die Spannweite plausibler Werte sowie die typischsten Fälle spezifizieren.
Niemand hätte diese Aussage ohne das Beispiel verstanden. Durch das Beispiel wurde der Inhalt anschaulich und verständlich, und die meisten Menschen werden sich nur das Beispiel merken.
Weshalb sie so wichtig sind und wie Du auf gute Beispiele kommst erfährst Du hier.
Deshalb solltest Du Beispiele in Deinen Texten verwenden
Sie machen Deine Texte hirngerecht
In der Einleitung haben wir ein Beispiel kennengelernt, ohne das der Inhalt schwer zu verstehen wäre. Aber auch wenn das Beispiel nicht zum Verständnis Deines Inhalts beiträgt, macht es den Text hirngerechter. Das liegt daran, dass Beispiele Deinen Lesern kleine Denkpausen ermöglichen. Sie können kurz zum Beobachter werden, und das ist deutlich weniger anstrengend, als ständig nur anspruchsvolle Inhalte zu konsumieren und zu verarbeiten.
Daniel Kahnemann würde sagen: Beispiele beanspruchen nur System 1 des Denkapparats, und das agiert intuitiv, emotional und ohne große Anstrengung. System 2, das normalerweise aktiv ist, wenn wir einen anspruchsvollen Text lesen, stößt dagegen schnell an seine Belastungsgrenzen. Wenn wir also angenehme und hirngerechte Texte für unsere Leser schreiben wollen, sollten wir diese verständlich formulieren und mit vielen Beispielen ausstatten.
Texte ohne Beispiele sind auch möglich, aber das Lesen ist wie Fernsehen ohne Fernbedienung: unnötig anstrengend.
Beispiele schaffen Bildhaftigkeit und Leserbindung
Ein guter Vergleich nimmt Deinen Leser mit in eine bestimmte Situation, die er sich vorstellen kann. Durch die damit verknüpften Bilder strahlt Dein Text viel mehr Leben aus und holt Deine Leser ab. Die Visualisierung schafft Nähe und ermöglicht es, sich zu identifizieren.
Wenn Du Deinem Leser ein Fahrrad verkaufen möchtest, sollte er sich bildhaft vorstellen, wie viel besser sein Leben mit genau diesem Fahrrad wäre, und das möglichst konkret. Nehmen wir an, das Rad hat eine besondere Gangschaltung: Bring Deinen Leser dazu, sich bildhaft vorzustellen, wie er mit seinem alten Drahtesel bergauf Probleme beim Schalten hat und wie viel besser das mit Deinem Modell funktioniert. Das ist viel wirkungsvoller, als einfach zu schreiben: „Unsere Gangschaltung XY ist super und funktioniert bei verschiedenen Gefällen hervorragend.“
Verlasse Dich nicht darauf, dass Dein Leser die Transferleistung selbst erbringt, Deine Fakten auf eine bestimmte Situation zu übertragen.
Beispiele machen Deinen Text persönlich
Aus verschiedenen Lebenserfahrungen entstehen unterschiedliche Beispiele. Die Vergleiche, die Du aufgrund Deines bisherigen Lebens ziehst, sind individuell und geben Deinem Text eine persönliche Note. Man könnte sagen: Gute Beispiele zu finden, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu Deinem persönlichen Schreibstil. Individuelle Beispiele machen Deine Texte beispiellos.
Das Hamburger Verständlichkeitsmodell bekräftigt die hier dargestellten Thesen; hier zählen Beispiele zur „zusätzlichen Stimulanz“. Durch Beispiele werden Deine Texte anschaulich, persönlich und besser verständlich.
Wenn Du Deine Texte verständlicher gestalten willst, hilft Dir auch das Textanalyse-Tool der WORTLIGA
Gute Beispiele finden: Konkret und zielgruppengerecht
Sei so konkret wie möglich
Ein haarsträubendes Exemplar eines unpassenden Beispiels begegnete mir nach der Bundestagswahl 2017 in Form einer Metapher. Im Zuge der Sondierungsgespräche wurde ein Pressesprecher gefragt, über welche Punkte man denn gerade noch verhandelte. Die Antwort: „Na ja, Sie müssen sich vorstellen, wir kochen gerade ein feines Koalitionssüppchen und haben uns schon auf die groben Zutaten geeinigt. Es geht jetzt nur noch um die Auswahl der passenden Gewürze.“
Herzlichen Glückwunsch, Herr Pressesprecher, durch diese Metapher wurde weder die Frage beantwortet, noch stelle ich mir jetzt Abgeordnete beim Kochen vor. Manche Vergleiche sind so austauschbar und unkonkret, dass sie eher die Intelligenz des Lesers/Zuhörers beleidigen, als einen Mehrwert zu liefern.
In diese Kategorie zählen (meist) auch Vergleiche auf der Basis von Homonymen: Texte ohne Beispiele sind so trocken wie die Sahara. Ok, Sahara ist konkreter als Wüste, aber keiner stellt sich ernsthaft eine Sandlandschaft vor, wenn es um langweilige Texte geht. Dass sich das Adjektiv „trocken“ auf einen Text oder eine Klimazone beziehen kann, taugt nicht einmal als Schenkelklopfer.
Verwende als Beispiel lieber etwas, das der Leser fühlen kann: Texte ohne Beispiele sind so langweilig wie eine Bachelorarbeit über makroskopische Zustandsgrößen der Thermodynamik.
Verwende zielgruppengerechte Beispiele
Im letzten Beispiel bin ich davon ausgegangen, dass Du als Leser dieses Artikels normalerweise nicht besonderes an Thermodynamik interessiert bist. Die Auswahl Deiner Beispiele sollte immer zu Deiner Zielgruppe passen.
Oft wird diese Anforderung zum Spagat: Nehmen wir an, Du schreibst einen Artikel über Blasenschwäche und ein Produkt, das ihr Einhalt gebietet. Dir ist natürlich klar, dass Deine Zielgruppe eher aus älteren Menschen besteht. Daher verzichtest Du auf das Beispiel, in dem Dich Deine Teamspeak-Freunde beim Playstationspielen wegen Deiner häufigen Toilettengänge verspotten.
Aber Du kannst die Situation auch nicht 1:1 auf einen Dir fernliegenden Stereotypen übertragen: „Sie wollen keine Minute vom Musikantenstadl verpassen, aber Ihre Blase macht nicht mit?“ Keine gute Idee. Das klingt ja fast diskriminierend.
Such Dir deshalb ein Beispiel, das auf alle anwendbar ist und von allen Betroffenen gefühlt werden kann: „Du hast beim letzten Fußballspiel wieder nicht bis zur Halbzeitpause durchgehalten? Der Blasentee von Reißdichzam ist schonend usw.“
In diesem Beispiel sind die Nicht-Fußballfans leider außen vor. Man muss sich dann blöderweise auf etwas verlassen, auf das man sich eigentlich nicht verlassen will: dass die Nicht-Fußballfans die Transferleistung erbringen, das Beispiel auf ihre Situation zu übertragen. Aber wenigstens hat man einen großen Teil der Zielgruppe direkt abgeholt.
Ein besseres Beispiel wäre hier ein Kinobesuch. Allerdings ist der letzte dank Corona (Stand 2021) bei den meisten schon so lange her, dass die Erinnerung daran einem Schwarz-Weiß-Film gleicht.
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